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Auf Siebentausender im Pamir

Franz Dürschmidt

Der Trostberger Alpenverein war auf Einladung des Russischen Sportkomitees 1978 in der UDSSR.

In Erinnerung an Franz Dürschmidt, ✝︎ 22.12.2022 - Kondolenzbuch

im pamir 748xZeltlager Fortambek, UdSSR, 1978

Im Süden der Sowjetunion, nahe der tibetischen Grenze, befindet sich das Pamir Gebirge mit den höchsten Gipfeln des Landes. Seit dem Jahre 1974 organisiert das Sportkomitee der UdSSR für ausländische Bergsteiger internationale Alpinist-lager zur selbstständigen Besteigung grosser Eisberge im Pamir.
Diesen Sommer konnten von der Alpenvereinssektion Trostberg ich, zwei Mitglieder und fünf Freunde an der „Alpinade“ teilnehmen. Wie fast jedes Unternehmen in Russland begann auch dieses in der Acht-Millionen-Metropole Moskau. Eine Stadtbesichtigung mit Besuch des roten Platzes durfte dabei nicht fehlen. Dem kühlen Wetter in Moskau entflohen wir bald mit einem fünfstündigen Flug in die südlich gelegene Stadt Osh in Kirgistan mit heissem Klima. Weiter per Jet ging es dann weiter im Lande der Kirgisen. Sozusagen vor der Tür einfacher Lehmhäuschen landete die Maschine schliesslich mit einer langen Staubfahne auf einer Sandpiste im Alaital.

Nach einer abenteuerlichen Fahrt auf einem Lastwagen durch zum Teil rot gefärbte Bäche, erreichten wir schliesslich zu Füssen der mächtigen Eiskulisse des 7134 Meter hohen Pik Lenins das erste internationale Zeltlager Atschik-Tasch. Hier spielte sich allerhand ab, kein Wunder, ist doch der Pik Lenin der meistbestiegene 7000er der Welt.

paradis fortambek 2Das Interesse unserer Freunde Klaus und Volkmar galt diesem Eisriesen. Klaus berichtet darüber nachfolgend ausführlich: "Bis zu seiner Erstbesteigung vor 50 Jahren durch die Deutschen Allwein und Wien sowie dem Tiroler Schneider, galt dieser Berg sogar als die höchste Erhebung im Pamir". Aus dem vegetationslosen Alaital – der Name Pamir stammt aus dem Türkischen und bedeutet „Kalte Hochsteppe“ – erhebt sich der Pik Lenin über 4000 Meter in der ersten Gebirgskette Transalai.

Die über die Grate verlaufenden Anstiege stellen zwar technisch keine allzu grossen Anforderungen an uns Bergsteiger. Die Route ähnelt einer Mont-Blanc Besteigung von Chamonix über die wetter ausgesetzte Valot-Hütte. Der sieben Kilometer lange Gipfelgrat, bei 1000 Meter Höhenunterschied vom letzten Lager III, und häufigen Stürme, denen man am Grat unentwegt ausgesetzt ist, stellen die Schwierigkeiten dar. 1974 erschütterte die Nachricht vom Erfrierungstod der sieben besten sowjetischen Bergsteigerinnen – erfroren in einem Schneesturm die Zelte weggefegt – am Pik Lenin die Weltöffentlichkeit.

Vor der Tour musste die Gruppe aber eine Untersuchung auf Tauglichkeit im Basislager über sich ergehen lassen. Ein Dauerlauf von drei Minuten in Grossglockner Höhe rund um das Zeltlager war weitaus anstrengender als der heimatliche Trimm-Trab. Dann nahm ein Instruktor die Ausrüstung bis hin zum Klettergürtel und dem Proviant unter die Lupe. Sogar die Zeltheringe fanden sein Interesse. Schliesslich musste dem Lagerkommandanten ein genauer Besteigungsplan mit Skizze zur Begutachtung vorgelegt werden.

Die sowjetische Bergsteigerföderation, deren Einladung wir in das Pamir zur Alpinade gefolgt waren, möchte das Sicherheitsrisiko möglichst gering halten. So wurde uns sogar ein Funkgerät mitgegeben, die tägliche Rückmeldezeit mit der Dolmetscherin vereinbart, ein Blick noch auf die Satelliten-Wetterkarte geworfen, dann konnte es am 22. Juli 1974 losgehen.

Eine Eingehtour auf den rechten „Talwächter“, knapp 5000 Meter hoch, hatte schon etwas Höhenanpassung gebracht, so konnte dem Rucksack nochmals drei Kilogramm mehr zugemutet werden.

Drei Lager mussten wir errichten, das letzte auf 6100 Meter Höhe in der tiefsten Einschartung des Nordwest Grates gelegen und dem ständig blasenden Westwind ausgesetzt. War auch der Höhenunterschied zwischen Lager I und II mit 1100 durch Eisbrüche hindurch am grössten, so waren die anschliessenden 700 Meter über steile Hänge querend unter riesigen Eisbalkonen entlang, im Bereich der Nordwand viel anstrengender. Zunächst dauerte das Höher kommen über sieben Stunden. Wir schafften also weniger als 100 Meter in einer Stunde. Beim dritten Hochsteigen nach Lager III war die Überraschung gross, schon nach fünf Stunden die Grateinsenkung erreicht zu haben. So waren alle froh gestimmt. Jeder fühlte sich fit. Für den kommenden Tag war der Gipfelangriff vorgesehen. Das Wetter war beständig, aber kalt, der ständig blasende Wind nur in Daunenkleidung erträglich.

im pamir 7486

Zeltlager im Aufstieg zum Pik Kommunismus Franz Duerschmidt Trostberg

 

Am 31. Juli 1978 um 2.30 Uhr nachts aufstehen, schnell ein paar Schluck noch lauwarmen Tee aus der Flasche trinken, schon stolperten wir Eisen-bewehrt und dick vermummt mit aufgesetzten Stirnlampen den steilen Firnhang im Nordwest-Grat hinauf. Über uns lag ein Sternenhimmel von unwirklicher Klarheit. Nach vier Stunden waren die 400 Meter des Aufschwunges bezwungen. Über einem Gipfelmeer im Osten, bereits China, ging die Sonne auf. Es war bitterkalt und Rasten mussten sich auf ein kurzes Verschnaufen beschränken.

Die nächsten Stunden ging es eintönig über verblassene, schroffendruchsetzte Terrassen aufwärts bis zu einer Steilstufe von etwa 100 Metern Höhe. An dieser einzigen, technisch etwas schwierigen Passage im gesamten Grat verlauf ereignete sich leider zwölf Stunden später der tödliche Absturz eines tschechischen Bergsteigers in die Nordwand. Übermut oder Unkonzentriertheit in der Höhe?

Wir, eine Gruppe von acht Männern, waren nun schon neun Stunden unterwegs und ein Gipfel war noch immer nicht in Sicht. Bei drei Bergfreunden von mir machten sich erste Anpassungsschwierigkeiten an die Höhe bemerkbar, waren wir doch immerhin schon auf 6800 Meter Höhe über Meer. Ich sollte Stunden später mit ihnen meine liebe Not im Abstieg haben, sie ungefährdet wieder in das Gratlager zurückzubringen. Die Seilschaften zogen sich in die Länge, bald waren wir nur noch zu zweit in einem Firnkessel. Mittag war schon längst vorbei. Bis 15 Uhr hatte ich mir die Zeit gesetzt, weiter zusteigen. Wäre dann der Gipfel nicht erreicht gewesen, hätte diese die Umkehr bedeutet.

Franz Eins 700Ein Biwak in 7000 Metern Höhe wollten wir ungern riskieren. Endlich tauchte ein Kilometer langer Grat auf. Aber wo sollte sich der Hauptgipfel mit der von Bildern her bekannten Lenin-Büste befinden? Ein Gipfelkreuz als Orientierungshilfe ist in der Sowjetunion unbekannt. Zum Glück fanden sich einige windverblasene Trittspuren von Alpinisten, die Tags zuvor den Gipfel erklommen. Der Schrittrhythmus vollzog sich nun eintönig im Gleichtakt: "Zwanzig Schritte, zwei Minuten rasten - zwanzig Schritte, ..." Plötzlich, um 14.30 Uhr nach über 11 Stunden am Berg, tauchte die Lenin-Büste ganz unverhofft auf. Das ersehnte Ziel war erreicht. Bei klarer Sicht belohnte uns ein umfassender Rundblick auf ein eisgetürmtes Panorama für die ganze bisherige Mühsal.

Der Abstiege mit den drei Höhenkranken Kameraden schaffte weitere Probleme. Im Höhenrausch kamen sie auf die tollsten Einfälle wie: "es uns doch jetzt bei dem schönen Wetter in 7000 Meter Höhe gemütlich zu machen oder den Herrn Lenin auf dem Gipfel mit einem Wimpel zu beehren".

Zeitweise musste abwechselnd der eine oder andere, oft etwas unsanft, zur Raison gebracht werden, in dem wir ihnen beibrachten, dass es sich hier nicht um einen Ausflug ins Grüne mit Picknick handelte. Ihre Rucksäcke mussten wir zudem auf unsere eigenen mit darauf packen. An Steilstufen erwogen wir dann eine Vor- und Nachsicherung.

Um 20 Uhr stolperten wir in der Dämmerung die letzten Schritte entgegen den leuchtend roten Zelten am Grat. Ein erfüllter 18-Stunden Tag ging zu Ende.

Während sich Klaus am Pik Lenin anderen deutschen Bergsteigern anschloss, konnte unsere Sechs-Mann-Gruppe nach wenigen Akklimatisierungstagen mit aussichtsreichem Hubschrauberflug der Transalaikette entlang und über zerklüftete Felsgraten in das Herz des Pamir-Gebirges überwechseln. Die Sowjets nannten das Zeltlager, das auf einer Edelweiss übersäten Wieseninsel an der Randmoräne des Fortambek-Gletschers, "Tor zum Paradies". Hier landeten wir vor dem Hintergrund mächtiger Eiswände. Jenseits des Gletschers ragten bis zu 2000 Meter hohe Abstürze des eigenartigen Pamir-Firnplateaus auf, gekrönt von grossen Eisbalkonen. Über die Wände und Steilflanken donnerten Tag und Nacht Steinschläge und Eislawinen hernieder.

Wir mussten uns auch hier an die Regeln des sowjetischen Bergsteigens halten und uns vor der Tour der ärztlichen Untersuchung zu unterziehen und auf grössere Touren ein Funkgerät mitzunehmen. Gar bald entstand ein freundlicher, persönlicher Kontakt zum Lagerpersonal, waren hier doch weit weniger Bergsteiger in den Zelten untergebracht. Das dreimal am Tag ausgeteilte warme Essen konnten wir dank des trockenen Sommerwetters stets im Freien geniessen.

Unser Streben halt dem am Ende des Firnplateaus aufragenden Gipfel des höchsten Berges der UdSSR, dem 7495 Meter hohen Pik Kommunismus. Seine Besteigung beansprucht mehrere Tage und die Errichtung von Zeltlagern. Einen, vor grösseren Lawinen sicheren, Zugang bis 5900 Meter am Beginn des Plateaus bildete ein Gratpfeiler, der "Burewestniksporn". Wegen des brüchigen Gesteins aber wiederholten wir den Aufstieg mit schwerem Gestein nur sehr ungern. Dennoch war es aus Gründen der Höhenanpassung erforderlich, zwei- bis dreimal Gepäck hinaufzuschaffen und im Lager I in rund 5000 Metern Höhe zu übernachten. Gut, das sowjetische Forscher, diesen Sommer über am Plateau beschäftigt waren, den Aufstieg über den Sporn an allen schwierigen Stellen mit Fixseilen abgesichert hatten. Ein Forscherpaar suchte in unserem Zelt auf Lager II, auf 5900 Meter, Zuflucht, weil deren eigene Zelte durch einen umgestürzten Benzinkocher vollständig verbrannt waren.

im Pamir 7584Grosse Temperaturunterschiede, der anstrengende Weg über das 12 Kilometer lange Firnfeld in 6000 Meter Höhe mit viel Gepäck und die nach oben immer dünner werdende Luft zerrten an den Kräften. Sicherlich trug das fast durchwegs sehr gute, windstille Wetter das meiste dazu bei, dass fünf Teilnehmer schliesslich am 1. August den höchsten Punkt erreichten. Bei wolkenlosem Himmel reichte die Sicht bis zu den fernen Karakorum-Bergen.

In der Abendsonne trafen wir wieder müde bei unseren in 7000 Metern aufgestellten Leichtzelten ein. Auch wir bekamen die Folgen der Bergkrankheit zu spüren. Zu fünft mussten wir einen unserer Freunde unterstützen, um den Abstieg über die Steilhänge von der Schulter zum Plateau zu schaffen. Nach drei Tagen Rückweg betraten wir vollbepackt und abgekämpft wieder das Basislager und waren dort alsbald Gäste bei einer fröhlichen Geburtstagsfeier eines der Organisatoren.

Keine zwei Tage später: Die Rotorblätter des Hubschraubers überschütteten uns mit Staub, als er Walte rund Helmut zusammen mit zwei slowakischen Bergsteigern zum Ausgangspunkt des Nachbar-Siebentausenders Pik Korshenewskaja transportierte. Der Südgrat dieses Berges mit immer wieder neuen Aufschwüngen bot zweifellos einen weiteren Höhepunkt des Pamir-Aufenthalts. Dieter, Hardy und ich kehrten zum Atschik-Tasch-Lager zurück und fanden dort einen schönen Eisanstieg durch die Nordflanke des etwa 6000 Meter hohen Pik des XIX Parteitages.

Schliesslich begegneten wir am Rückweg kirgisischen Hirten, die hier in runden Schafwollzelten wohnten und oft auf Pferden unterwegs waren, um Yaks und Schafe zu den spärlichen Weideplätzen zu treiben. Infolge der Trockenheit wirbelten Windböen oft dicht Staubwolken durch das Zeltlager. Noch mehr vom Lande lernten wir bei einer 12-Stündigen Busfahrt über eine hohe Passstrasse zur Stadt Osh zurück. Hier gab es endlich wieder das von uns ersehnte "Grün", Blumen und Obst.

Die Weite und Vielfalt der Sowjetunion war sehr beeindruckend. Eine der "Superlativen" liess man uns Bergsteigern zum Abschluss noch in Moskau zukommen: Unterbringung im grössten Hotel Europas vor der Heimreise.

Franz Dürschmidt, Trostberg 1978

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